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Madagaskar: Was bisher geschah

  • Madagaskar
  • Deutsch

May 09, 2021

Mein Leben auf Madagaskar: Teil 1

Ich habe bemerkt, dass ich nicht besonders gut darin bin, euch alle über das, was ich gerade auf Madagaskar erlebe, auf dem Stand zu halten. Diese Website soll deshalb der Versuch sein, das besser hinzukriegen: Die Idee ist, halbwegs regelmäßig hier Updates zu veröffentlichen, in welcher Form auch immer. Das Ganze soll kein Blog sein (denn wer in meiner Generation schreibt bitte Blogs), sondern idealerweise einfach eine Möglichkeit, in Kontakt zu sein, wofür eine Website sich ganz gut eignen sollte. Ich experimentiere gerade mit verschiedenen Ideen zu dem Thema herum, euer Feedback ist also sehr erwünscht!

Warum bin ich eigentlich auf Madagaskar?

Wie die meisten von euch wahrscheinlich wissen, wollte ich nach dem Abitur (meine Prüfungen sind jetzt ziemlich genau ein Jahr her, auch wenn es sich nicht so anfühlt), nicht direkt studieren, sondern lieber zu meinen zwar humanistisch wertvollen, aber alltäglich wenig anwendbaren Latein- und Altgriechischkenntnissen einen praktischen Skill hinzufügen: Coding, präziser Webdevelopment, also die Kunst, Popups so nervig zu gestalten, dass der User garantiert nie wieder auf die Website zurückkommt. Nach einem Bootcamp bei neue fische kann ich das jetzt auch. Die Idee war, die Kosten für das Bootcamp durch einen dadurch möglichgewordenen Job zurückzuverdienen, aber warum Gehalt bekommen, wenn man auch (quasi) Pro Bono arbeiten kann?

Bei der Jobsuche stoß ich nämlich auf die Position eines Headcoaches bei einem Social Business namens Onja, das talentierten aber durch Lebensumstände eingeschränkten Jugendlichen die Möglichkeit gibt, in nur zwei Jahren Englisch und Webdevelopment von Grund auf zu lernen um danach in Europa remote als Softwareentwickler zu arbeiten. Wissend, dass ich für die Stelle vollkommen unzureichend qualifiziert war, bewarb ich mich. Und bekam die wundervoll vage Position eines Assistant Coaches zugesprochen. Das war im Oktober. Bis ich los konnte dauerte es dann bis Anfang März; Visum und Corona und so Sachen. Genug Prolog.

Ankunft auf Nosy Be (und die ukrainisch-amerikanischen Vanille-Mafiosi)

Bei meiner Hinreise bin ich nicht direkt in der Hauptstadt Antananarivo (ab jetzt Tana, weil kürzer) gelandet, sondern auf der deutlich touristigeren Nebeninsel Nosy Be (auf Malagasy wörtlich gute Insel). Die Zeit bis zum Erhalt meines Covid-Testergebnisses konnte ich glücklicherweise in einem wunderschönen Hotel verbringen, komplett mit Blick aufs Meer beim Aufwachen und so. Dort traf ich unter anderem auf zwei interessante Zeitgenossen aus den USA, die Vanilleplantagenbesitzer Igor und Leo. Geboren in der Ukraine trafen sie sich in der Roten Armee und immigrierten später nach New York. Auch wenn mir Leo erstaunlich viele Fakten über die 8 grundverschiedenen Klimazonen Madagaskars erzählen konnte, werde ich den Hintergedanken nicht los, dass ich mir Mafiosi immer so vorgestellt habe wie die beiden. Also wer weiß, was die immer auf Russisch telefoniert haben...

Aussicht auf den Ozean vor Nosy Be

Andere Sachen von Nosy Be:

Die Insel ist einfach traumhaft schön, wie Madagaskar generell überraschend bergig, satt grün, süßlich schwül mit top Stränden. (Wer die Möglichkeit hat, sollte dringend herkommen, es ist wirklich traumhaft) Der Weg vom Flughafen zum ziemlich abgelegenen Hotel ist so kurz nach Ende der Regenzeit die schlechteste Straße, auf der ich je gefahren bin, nicht das irgendjemand deswegen langsamer fahren würde.

Am besten war, endlich mal wieder aus dem Dauerlockdown herauszukommen, mit dem Sohn des Hotelbesitzers und dessen besten Freund das Leben auf der Insel und diverse Bars zu erleben. Das klappt auch ohne eine gemeinsame Sprache.

Endlich mal raus aus dem Haus

Im Vergleich zu dem Ort, wo ich jetzt bin, Mahanoro, ist Nosy Be deutlich fortschrittlicher, auch das Lebenstempo ist eindeutig höher: Während in Mahanoro hauptsächlich Fahrrad-Taxis unterwegs sind und die meisten Menschen gemütlich umherwandern, liefern sich auf Nosy Be die TucTucs in absurdem Tempo Wettrennen um die Schlaglöcher herum.

Die TucTucs von Nosy Be

Als unser Fahrer auf einer der seltenen schlaglochfreien Geraden mal so richtig beschleunigt hat wurden wir direkt von der Polizei angehalten, mein erster Gedanke, das müsse daran liegen, dass wir das Tempolimit überschritten haben, scheint rückblickend echt absurd: Welches Tempolimit? Als ob das irgendjemanden hier interessiert, wir sind schließlich nicht in Deutschland. Tatsächlich hat mir der Polizist, wie ich erst danach verstanden habe, angeboten, sein Motorrad auszuprobieren. Einfach so, warum auch nicht. Was Offenheit und Selbstlosigkeit (im Sinne von sich selbst nicht so wichtig nehmen) angeht haben die Madagassen uns ordentlich was voraus.

Nach einigen Tagen dieser Quarantäne ging es für mich dann aber weiter, diesmal mit dem Regionalflieger in die Hauptstadt, Tana, und danach mit dem Bus an die Ostküste, nach Mahanoro. Nach Tana bin ich seitdem noch einmal zurückgekommen, dann mehr über die Stadt. (Ein Bild kriegt ihr aber trotzdem schonmal).

Blick auf Tana

Reisen auf Madagaskar: Die Taxi-Busse

Das einzige wirkliche Massentransportmittel für längere Strecken auf Madagaskar sind Taxi-Busse, deren Zuverlässigkeit und Preis hier ungeschlagen sind. Die Busse sind hauptsächlich uralte bis halbwegs alte Minibusse, haben durchschnittlich vielleicht Platz für 16 Leute, was nicht heißt, dass nur maximal 16 Leute mitfahren (Irgendwann wird es echt ungemütlich) und sind überraschend häufig von deutschen Herstellern, vor allem Mercedes ist echt beliebt. Scheinbar sind die nicht totzukriegen. Ich weiß nicht, wie sich die Fahrten finanziell rechnen, für die 14 Stunden Fahrt nach Mahanoro zahlt man pro Sitz umgerechnet etwa 5 Euro, damit bekommen die kaum die Tankkosten wieder, ermöglichen so aber längere Reisen für die meisten Madagassen, was wirklich großartig ist. Neben Menschen wird auch noch alles andere mitgenommen, wie Pakete, Nahrungsmittel und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie Massen an Fahrrädern. Teilweise wird man während der Reise von einem Bus an den nächsten weitergegeben, ohne jegliche zentrale Infrastruktur, die Fahrer verhandeln einfach miteinander. Ich weiß zwar nicht, wie, aber es funktioniert.

Auch wenn die Busse insgesamt ziemlich großartig sind, kann die Zeit, die man in ihnen verbringt, schnell unangenehm bis unerträglich werden: Schweißgetränkte stehende Luft, die ungefilterten Abgase des LKWs vor uns, den wir auf der einspurig gewundenen Straße seit einer halben Stunde nicht überholen konnten, das ständige Abbremsen, langsame Hereinfallen in Schlaglöcher und anschließende Beschleunigen, das sich schier endlos wiederholt, you get the idea. Das Nervtötendste ist aber die Musik, die die Fahrer ausschließlich auf höchster Lautstärke spielen: tsapika, das populärste Genre madagassischer Popmusik. Alle Songs klingen gefühlt gleich, ausschließlich happy und positiv, starke Rhythmen. Gar nicht schlecht eigentlich. Diesen Song hört man hier überall:

Aber für 14 Stunden am Stück? Mit so viel Positivität komme ich nicht klar. Irgendwann wird das zur Qual. Man ist anschließend schon froh, endlich aus dem Bus rauszukommen. Tsapika entkommt man damit allerdings nicht, das wird hier überall gespielt. So, genug gejammert jetzt.


Es ist der 8. März, kurz vor Sonnenaufgang, als mein Bus endlich auf die Zielgerade nach Mahanoro einbiegt, jenen Ort, in dem ich die nächsten Monate verbringen werde. Und über den ich eigentlich gar nichts weiß, wie mir jetzt auffällt. Handy leer, keine Ahnung, wo die Schule oder meine neue Unterkunft ist, mit vielleicht drei Worten Malagasy und nur wenig mehr Französisch bin ich am Ziel meiner Reise. Und weiß nicht, wohin.

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© 2021 Constantin Goeldel

  • Constantin Goeldel